100 Jahre Musikbibliothek
Virtuoser Jazz in klassischer Form
The Kapustin Project:
Konzert mit dem Pianisten Roman Rofalski
Freitag, 27.11. 2020
Ab den 1920er Jahren nahmen klassische Komponisten zunehmend Elemente des
Jazz in ihre Klangsprache auf.
Einen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet das Klavierwerk des Komponisten und Pianisten Nikolai Kapustin. Seine Musik vereinigt Einflüsse der Klassik und des Jazz und findet damit zu einer ganz eigenen, unverwechselbaren Klangsprache: ein idealer Ausgangspunkt für eine musikalische Gratwanderung. Der Pianist Roman Rofalski, der sein Solodebüt beim legendären Label Sony herausbrachte, ist wie kaum ein zweiter in beiden Musikwelten zu Hause.
20:00, Stadtbücherei Neumünster
Wanderer zwischen Musik-Welten
Wenn Roman Rofalski heute als Wanderer zwischen den musikalischen Welten bezeichnet wird, dann liegt es an seiner Ausbildung: Erst ein klassisches Klavierstudium an der renommierten Hochschule für Musik in Hannover, anschließend hat er in New York den Master im Jazz-Piano drangehängt.
„Ich wollte eigentlich etwas anderes werden“, erzählt der 36-jähriger Stadthäger(+3) beim Telefoninterview: „Techno-DJ oder Rockstar.“ Er hat früh in einer Rockband gespielt, Keyboards und ein bisschen Gesang; er ist beim „Pflastertrubel“ aufgetreten, auf einigen regionalen Festivals – und dann kam eine Bitte an die Band: „Könnt ihr nicht mal auf einem Geburtstag spielen? So als Hintergrundband?“ Und die klassische Hintergrundmusik für eine Feier, das ist und bleibt wohl auch der Jazz, mit all seinen seit Jahrzehnten gut abgehangenen Standards.
Er komme aus einer musikalisch interessierten Familie, erzählt Rofalski, alles musikalische Laien. Aber eine gewisse Rolle habe sie doch gespielt, die Musik. Dennoch: Für eine Ausbildung nach dem Abitur stand sie eigentlich nicht zur Debatte. Lieber wäre den Eltern etwas Grundsolides gewesen, Jura etwa. „Und es hat dann auch ein bisschen gedauert“, erzählt Rofalski, „bis sie sich mit dem Gedanken angefreundet haben, dass der Sohnemann nun Musik studieren wird.“ Sie hätten ihn dabei konsequent und immer unterstützt, sagt Rofalski und ergänzt lachend: „Dafür, dass ich der erste Künstler in der Familie bin, hat sie das wirklich mit Fassung getragen.“
Musikschullehrer als damaliges Ziel
Musikschullehrer, das sei damals ein Ziel gewesen, während die Welt der Konzerte den wahren Künstler vorbehalten geblieben wäre. Schließlich würde man dafür eine wirklich profunde Ausbildung benötigen, „und da habe ich mich damals nicht wirklich selbst eingestuft“, sagt er. „Ich bin so durch die Studiengänge und Aufbaustudien gerutscht – und habe gemerkt, dass tatsächlich auch ich mich zu den künstlerisch Tätigen zählen kann.“
Rofalski hat anschließend angefangen, auch zu Wettbewerben zu fahren, um an diesem „Klavier-Zirkus“ teilnehmen zu können. „Das ist schon lehrreich gewesen und hat Spaß gemacht.“ Aber dann habe er sich doch eingestehen müssen, hundertprozentig stehe er nicht dahinter, hinter dem klassischen Konzertpianisten.
Also konzentrierte er sich auf den Jazz, im Studium hatte er an der Klassik gearbeitet und Jazz gehört, jetzt sollte es genau umgekehrt werden – in New York.
Ein kleiner Sprung in die Gegenwart: Seit fünf Jahren tritt er mit dem gleichnamigen Trio auf, und die drei haben sich eine Nische erspielt, die sich aus der Biografie des Bandleaders erklärt: Dass Roman-Rofalski-Trio macht nie ein Hehl daraus, dass es fest und tief im Jazz verankert ist, aber es gibt da draußen eben auch noch ein paar andere Einflüsse, etwa aus der Musik des 19. Jahrhunderts. So haben Maurice Ravel und Franz Schubert ihre Spuren in seinen Kompositionen hinterlassen, mehr noch allerdings Jazz-Pianisten wie Bill Evans und Kenny Kirkland. Und aus der gegenwärtigen Musik schaffen es elektronische und zeitgenössische Varianten, „Everlong“ von den „Nirvana“-Nachfolgern „Foo Fighters“ sowie eine „Lucky“-Adaption von „Radiohead“ ins eigene Programm.
Trio mit großer Bandbreite
Die Bandbreite des Rofalski-Trios ist wahrlich breit gestreut: Von der Barockmusik und der Klassik, über die französischen Impressionisten bis zu klassischen Komponisten wie Arnold Schönberg und Sergei Prokofjew reicht sie. Rofalski und seine beiden Mitspieler verschmelzen klassische Musik mit Jazz oder Jazz mit klassischen Elementen, gerne mit Pop. Auch dabei ist der Stadthäger ein Grenzgänger. „Rofalski ist ein lyrischer Erzähler auf dem Klavier“, hat einmal ein Kritiker geschrieben. Seine Kompositionen müssen sich nicht verstecken, sie sind mit viel Gespür für die Trio-Besetzung komponiert und arrangiert. Das funktioniert nun schon ein halbes Jahrzehnt so gut, weil auch die beiden Mitspieler, Johannes Felscher am Kontrabass und der Nienburger New-York-Exilant Ruben Steijn am Schlagzeug, auf demselben hohen Niveau spielen wie Rofalski selbst. Die drei bilden eine gut aufeinander abgestimmte rhythmische Einheit, die auch komplexeste Strukturen locker und leicht aus dem Ärmel schüttelt.
Heute lebt der Stadthäger in der großen Bundeshauptstadt mit seiner großen Jazz-Szene, „in der mancher aber auch in seinem eigenen Saft schmort und sich wenig Gedanken über seine Außenwirkung macht“, sagt Rofalski. Auch er will sich nicht verkaufen an den Erfolg, natürlich nicht, aber er will, was Jazz gern möchte: verführen mit seiner Musik. Dazu gehört auch eine Außendarstellung.
Und ja, man kann davon leben, sagt er, Reichtümer wird man aller Voraussicht nach nicht anhäufen, aber der Spagat ist machbar: Avantgarde zu sein und dennoch den Leuten schmackhaft machen, wie verlockend Jazz sein kann. „Ich will sie ja nicht abschrecken, sondern ihnen etwas Neues zeigen“, sagt er.
Aber Jazz, das ist eben mehr als nur das Bewährte, mehr als nur das Bewahren des Alten. Es ist auch das Kreieren von etwas völlig Neuem; man könne Neues spielen und auf große Komponisten zurückgreifen. „Eine gewisse Offenheit tut gut“, so Rofaski. Und mit dieser Offenheit, dieser Geisteshaltung, „damit bietet sich der Jazz an“.
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